Der Wind der 1000 Melodien

Das Lied des Windes

Leicht, sanft, der Geruch der Gräser; Das brachte der Wind zu mir, als ich auf dem großen Teppich der Natur lag. Meine Augen geschlossen, konnte ich die Winde singen hören. Leise, immer ein anderer Ton und so offenbarten mir meine Ohren eine schöne Melodie. Es schien so, als ob mich dieses Lied trösten wollte. Das Lied, es kannte keine Traurigkeit, nur Leichtigkeit und Fröhlichkeit. Es sprach zu mir mit munteren Tönen: “Warum tanzt du denn nicht?”. Während die Töne mich erwärmten, blieb ich still und prüfte nach:

“Warum tanze ich nicht?”, fragte ich mich selbst. Als Antwort überwältigte mich ein Gefühl der tiefen Trauer. Und so berichtete ich dem Wind: “Traurigkeit.”

“Traurigkeit? Was ist das?”, wunderte sich das fröhliche Kind des Windes.

“Hast du noch nie Traurigkeit empfunden?”, entgegnete ich ihm.

Es schaute mich noch immer mit großen Augen an und gab als Antwort:

“Nein. Was ist das?”. Ich selbst verwundert, erklärte dem sanften Geschöpf etwas zögernd:

“Traurigkeit…Nun…Traurigkeit ist ein Gefühl, das mich oft überwältigt. Es scheint mir alle Energie zu rauben, keine Motivation mehr stehen zu lassen. Es ruft einen oft unerträglichen Schmerz hervor. Ich denke an eine Situation und schon ist er da, der Schmerz.”

Der Wind hörte aufmerksam zu und als er sah, dass ich still wurde flüsterte er:

“Spürst du ihn jetzt, den Schmerz?”. Ich legte meine Hand aufs Herz und konnte fühlen, wie die Traurigkeit mich umgibt. So antwortete ich:

“Ja, sehr intensiv.” Die Melodie, grinsend, ganz leise, überraschte mich, als sie sagte: “Da kommt mir eine Idee. Warum triffst du dich nicht mit der Traurigkeit? Vielleicht möchte sie einfach nicht alleine sein.”

“Treffen? Wie mache ich das?”, gab ich an das Kind weiter und es antwortete:

“Indem du dahin gehst, wo sie ist. Wenn du möchtest, helfe ich dir.”

“Wie kannst du mir helfen?”, fragte ich. Die Melodie noch immer in Bewegung, änderte nun seine Töne: Noten: “Cis, Fis, Cis, Fis, Cis, Ais, Cis, Fis…”. Eine Energie floss vom Winde in den Boden und aus dem Boden heraus entsprangen Wurzeln, die sich zu einer Tür formten. “Da ist deine Traurigkeit.”, flüsterte der Wind mir zu.

“Da? Ist sie nicht in mir?”, fragte ich und konnte meinen Mund vor Staunen nicht mehr schließen. “Diese Tür führt in dein Herz. Ich habe sie aus deinem persönlichen Urton Cis entstehen lassen.” Es war zu viel, so dass ich es nicht verstehen konnte. Ich schaute den Wind an und er deutete zur Türe hin.

“Geh‘ hinein.”, fügte er noch bei. Zuerst zögernd, schaute ich zu der Tür aus Wurzeln, dann sah ich wieder zum Kinde, schloss meine Augen und atmete tief ein…und aus. Ich öffnete meine Augen erneut und ging auf die Tür zu. Herzklopfen. Ich ging weiter. Zittern. Als ich vor der Tür stand, suchte ich nach der Klinke, doch…es gab keine. “Wie kann ich denn die Tür öffnen?”, gab ich an die Melodie der Herzen weiter. “Bist du wahrhaftig bereit?”, fragte sie mich, in diesem Augenblick sehr ernst. “Ja.”, schoss es aus mir hinaus.

“Dann wird sie sich auch öffnen.”, gab der Wind den Hinweis. “Wenn ich bereit bin…lässt sie sich öffnen…”, murmelte ich vor mich hin. Ich legte meine Hand auf die Tür und gab die Absicht weiter, dass ich zur Traurigkeit möchte. Die Tür öffnete sich so, dass ich mich dabei erschrak. Ein Licht kam vom inneren der Tür hervor, das mich einlud hineinzugehen. So nahm ich all meinen Mut zusammen und ging hindurch.

Traurigkeit

Das Licht wurde schwächer, als ich merkte, dass ich nicht mehr auf der Wiese war, sondern ich sah einen dunklen Raum. Ich konnte fast nichts erkennen, sodass ich hinfiel. “Aua…Das tut weh!”, warf ich es dem Raum vor. Plötzlich nahm ich entsetzliches Weinen aus einer Richtung wahr und versuchte dahin zu gelangen. Ich musste kriechen, damit ich nicht jedes Mal hinfalle. Das dauerte einige Zeit, doch irgendwann war das Weinen mir sehr nahe und ich nahm an, dass es vor mir sein muss. Eine kleine Lampe ging an und spendete etwas Licht. Endlich konnte ich wieder aufstehen und dann sah ich es. Da saß ein Kind auf dem Boden und weinte unzählige Tränen. Ich ging etwas näher heran und was ich erkennen konnte ließ in mir alles erstarren. “Das bin ich!”, wurde es mir klar. “Hey…Alles okay?”, fragte ich mein anderes Ich. Keine Antwort, nur unzählige, schmerzliche Tränen, die das Kind freiließ. Ich wusste nicht, was ich denn tun sollte. Ich versuchte also weiter mit ihm zu reden, doch es führte zu nichts. Irgendwann gab ich auf und setzte mich neben das Kind und empfand das Gleiche, wie mein jüngeres Ich. Es tat so weh, dieser Schmerz. Der Schmerz fühlte sich so an, wie dieser Raum: Dunkel. Soll das mein Herz sein? Mir kamen die Tränen. Was soll ich denn tun? Der Junge neben mir litt so sehr, dass ich nur mit ihm fühlen konnte. Mir war nach schreien zumute und als ich das empfinden konnte, tat der Kleine es. Er schrie und schrie und schrie so laut und grell, dass meine Ohren wehtaten, doch ließ ich ihn, denn ich konnte ihn so gut verstehen. Es dauerte nicht lange, bis auch ich anfangen musste mit schreien und so schrien wir gemeinsam. Wir brüllten so laut, dass das Zimmer hätte einstürzen können. Doch dem war nicht so. Wir schrien und weinten und weinten, bis ich spürte, dass es leer war. Zur gleichen Zeit spürte der Junge wohl das Selbe, denn auch er verstummte und augenblicklich erhellte sich der Raum und ich verstand: Der Raum war die Reflexion meiner Traurigkeit. So fühlte sich der Kleine: Verloren, ohne jegliche Klarheit. Und als ich fühlte, was er fühlte; Als ich bereit war die Schmerzen ganz zu fühlen, da erhellte sich der Raum, da erlangte mein jüngeres Ich klare Sicht.

Der Junge lehnte sich an meine Schulter und schloss seine Augen, was ich ihm gleichtat und so saßen wir da, uns sehr nahe.

Nach einiger Zeit fragte ich ihn: “Möchtest du Freude kennenlernen?”

Er schaute mich verwundert an, als hätte er sagen wollen: “Was ist das?”

Und ich erklärte ihm: “Freude ist etwas, das dich wärmt, stärkt. Es ist sanft, liebevoll und lacht.” Der kleine Junge entgegnete begeistert: “Oh ja.”

“Dann sei ganz aufmerksam. Hörst du es? Die Melodie des Windes?”, führte ich ihn langsam. Er legte seine Hand auf sein Herz und hörte hin. Es dauerte eine Weile bis: “Ein Ton!”, rief er begeistert aus. “Das ist die Freude.”, klärte ich ihn auf. “Wow, die gefällt mir.”, kam es aus dem Kind herausgeschossen, das zuvor nur Traurigkeit kannte. Als ich aufstand, fragte er mit zitternder Stimme: “Gehst du wieder weg?”. Ich kniete mich vor ihn und streichelte ihn sehr sanft und antwortete sehr sanft: “Nein, ich verlasse dich nicht, Sorge dich nicht, ich bin immer bei dir. Wenn du irgendetwas brauchst, dann rufe mich und ich bin hier.” Ich sah es dem Kleinen an, dass er nicht wusste, ob er das glauben sollte, doch er gab zurück: “Okay, ich werde hier klarkommen und wenn es mal zu viel wird, rufe ich nach dir.” Wir nahmen uns in den Arm und lächelten uns gegenseitig zu. Ich stand nun auf und ging zur Tür, die sich augenblicklich öffnete, als meine Hand sie berührte. Nochmals schaute ich zu dem Jungen, der die tiefste Traurigkeit erlebt hat und nun die höchste Freude spüren kann.

Freude

Das Licht war so hell, dass ich kurz meine Augen schloss und als ich sie wieder aufmachte, war ich wieder auf der Wiese. Ich atmete einmal tief durch, als der Wind neugierig fragte: “Und? Und? Erzähl schon, wie war es?” und lächelte.

“Ehm…Wo fang ich da an? …”, begann ich und erzählte ihm, wie ich den Jungen, der ich bin, kennenlernte, wie ich fühlte, was er empfand. Und schließlich, wie wir gemeinsam durch den Schmerz hindurchgingen. “Wir schrien und schrien, weinten und weinten und dann…war alles leer.”, erläuterte ich begeistert. “Und er möchte unbedingt die Freude kennenlernen.” Das Kind des Windes oder der Wind der 1000 Melodien, wie es gerne genannt wird, sprudelte ganz erfreut: “Da kann ich doch helfen.” und musste lauthals lachen. Ich lächelte und eine Melodie erklang. Eine Melodie der Freude und Fröhlichkeit. Ehe ich mich versah, tanzte ich auf dem großen, grünen Teppich der Natur und ich spürte eine tiefe Freude im Herzen.

“Danke.”, hörte ich den Jungen in mir.

“Meine Aufgabe ist nun getan.”, so sprach der Wind der 1000 Melodien.

“Gehst du schon?”, fragte ich ihn und spürte, wie ich ihn jetzt schon vermisse.

“Wenn du spürst, dass du Hilfe brauchst, so rufe mich mit dem Klang deines Herzens.”, gab er mir zurück.

Wir lächelten gemeinsam und der Wind der 1000 Melodien entfernte sich immer weiter, bis ich ihn kaum noch hören konnte.

Ich schaute nochmal in den Himmel und ließ die Wörter Ausdruck vermitteln, die sich zeigen wollten: “Danke.”


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